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Das Geheimnis der Geistesblitze

Hirnforscher haben gezielt das Gehirn stimuliert – und hinterher waren ihre Probanden kreativer. Nun wissen sie, wie Aha-Momente entstehen. Bald soll jeder die Methode nutzen können.


Als der Bakterienforscher aus dem Sommerurlaub heimkehrt, findet er in seinem Londoner Labor etwas Unappetitliches vor: Petrischalen, die von grünem Schimmel überwuchert sind. Nicht weiter ungewöhnlich, der Wissenschaftler hat schlicht vergessen, die Bakterienkulturen vor dem Urlaub zu entsorgen. Jeder normale Mensch würde das Zeug nun in die Tonne befördern.


Doch in jenem September des Jahres 1928 geschieht etwas anderes.

Alexander Flemming schaut sich die Schalen genauer an und hat dann einen Geistesblitz, der Millionen Menschenleben retten wird. Der Forscher erkennt, dass der Schimmelpilz eine Substanz absondert, die die Bakterien in der Petrischale abtötet – das erste Antibiotikum, das Penicillin ist entdeckt.


Aha-Momente durch Hirnstimulation


Einfälle wie der von Alexander Fleming können zu Meilensteinen für die Menschheit werden oder nützliche Dinge wie die Mikrowelle oder Post-it-Zettel hervorbringen. Oft verschaffen sie auch nur kleine Glücksmomente, wenn etwa das Kreuzworträtsel aufgeht oder ein Blumenarrangement glückt. In jedem Fall kommt dabei eine urmenschliche Fähigkeit zum Ausdruck: kreativ zu sein und Neues zu erschaffen.


Die schwer fassbare schöpferische Kraft fasziniert Menschen schon seit jeher und beschäftigt inzwischen auch Hirnforscher und Psychologen. Sie wollen verstehen, was beim kreativen Prozess passiert und wie man ihn fördern kann. Ein Durchbruch ist nun dem Team von Caroline Luft an der Queen Mary University in London geglückt. Mittels gezielter elektrischer Hirnstimulation gelang es ihm, bei seinen Probanden Aha-Momente auszulösen, wie es nun in den „Proceedings of the National Academy of Science“ berichten.


Um Kreativität unter Versuchsbedingungen erfassen zu können, haben Psychologen schon länger ein feines Instrumentarium entwickelt. Zum Beispiel zeigt man Testpersonen drei Worte wie Flocke, Eule, Besen. Die Aufgabe lautet dann, einen vierten Begriff zu finden, der sich mit allen drei kombinieren lässt – sodass Schneeflocke, Schneeeule und Schneebesen entstehen. Andere Wort-Trios, wie etwa Platz, Lücke und Forschung bereiten mehr Schwierigkeiten.


Kreativer dank Alpha-Wellen


„Das Problem dabei sind die naheliegenden Assoziationen, die uns sofort einfallen“, erklärt Caroline Luft. Wer im Geiste nach dem vierten Wort sucht, folgt den üblichen Assoziationspfaden, während wir für eine kreative Lösung das Offensichtliche ignorieren müssen. Wer bei Platz und Lücke sofort ans Parken denkt, der bleibt gedanklich stecken.


Um ihren Probanden zu kleinen Geistesblitzen zu verhelfen, wandten die Forscher eine bereits länger bekannte Technik an: die Stimulation des Gehirns mit leichten elektrischen Stromreizen, die in den Nervenzellen Alpha-Wellen erzeugen. Solche Alpha-Wellen können auch von allein entstehen, nämlich dann, wenn viele Tausende von Nervenzellen gleichzeitig mit einer bestimmten Frequenz feuern. Die synchrone Aktivität lässt sich aussen am Schädel durch ein Elektroenzephalogramm (EEG) ablesen.


Alpha-Wellen liegen mit ihrem Frequenzbereich von acht bis 13 Hertz zwischen den Beta-Wellen, die bei Schläfrigkeit auftreten, und den Theta-Welle, die man eher bei aktiver Konzentration oder auch beim Träumen beobachtet. „Ein Mensch mit Alpha-Wellen im Gehirn ist in der Regel hellwach, aber entspannt und dabei gut gelaunt“, beschreibt Caroline Luft den Zustand.


Stimulation im rechten Schläfenlappen


Schon öfter haben Forscher Alpha-Wellen im Zusammenhang mit Kreativität beobachtet, allerdings bislang mit unklaren und widersprüchlichen Ergebnissen. Das Besondere an der aktuellen Studie: Die Forscher in London stimulierten eine ganz bestimmte Hirnregion, den rechten Schläfenlappen der Grosshirnrinde. Dieses Areal bringt normalerweise erlernte Assoziationen hervor, wie beispielsweise Platz-Bäume-Menschen-Pflastersteine-Bänke.


Die so erzeugten Alpha-Wellen sollten bei den Probanden die naheliegenden Assoziationen ausblenden. Schon länger ist bekannt, dass Alpha-Wellen vor Ablenkung schützen. „Wenn wir zum Beispiel ein Gesicht in der Menge suchen, dürfen wir nicht alles wahrnehmen, was es zu sehen gibt“, erklärt Luft. „Den Grossteil des Inputs muss das Gehirn aktiv unterdrücken, und das geschieht durch Alpha-Wellen in der Sehrinde.“ Alpha-Wellen im rechten Schläfenlappen dagegen schützen vor Ablenkung durch das Naheliegende und verhelfen den Menschen zu Originalität, wie Luft nun zeigen konnte.


Die Psychologin setzte dafür 30 Freiwilligen Plastikkappen mit eingelassenen Elektroden auf den Kopf und ließ sie die Worträtsel lösen. Von den Stromreizen spürten die Teilnehmer dabei kaum etwas, allenfalls ein leichtes Tippen an der Schläfe. Erstaunlich dagegen die Wirkung im Gehirn: Mit den Alpha-Wellen kamen die britischen Teilnehmer signifikant häufiger auf richtige Lösungen. Einem Deutschen fiele dank Alpha-Power vielleicht ein, dass sich Platz, Lücke und Forschung mit Markt kombinieren lassen.


Alpha-Wellen im rechten Schläfenlappen helfen nicht nur bei Worträtseln, sondern auch bei anderen Formen der Kreativität. In einem weiteren Experiment nannten die Forscher einen Gegenstand, und die Probanden sollten sich neue Verwendungsmöglichkeiten dafür ausdenken. Im Fall einer Blechdose blieben viele bei dem Grundkonzept des Behälters hängen – sie wollten zum Beispiel in der Dose Münzen aufbewahren. Andere Einfälle waren nicht unbedingt praktikabel, dafür höchst fantasievoll. „Einer schlug vor, die Dose in kleine Stücke zu schneiden und Schuhsohlen zum Steppen aufzurüsten, ein anderer wollte mehrere Dosen aneinanderbinden und so eine Alarmanlage konstruieren“, erzählt Luft.


Kommerzielle Nutzung denkbar


Die Versuche der Londoner Neurowissenschaftler verdeutlichen, was bei einem kreativen Einfall im Gehirn vorgeht. „Es geht nicht nur darum, ausgetretene Pfade zu verlassen“, sagt Luft. Vielmehr müsse das Gehirn aktiv die Begrenzungen des erlernten Wissens niederreissen.


Eine kommerzielle Anwendung ihrer Entdeckung hält Luft prinzipiell für möglich: „Vielleicht sitzen wir eines Tages mit Denkkappen am Schreibtisch.“ Tatsächlich sind bereits Geräte für eine „transkranielle Gleichstromstimulation“ auf dem Markt, mit denen sich angeblich alle möglichen geistigen Fähigkeiten steigern lassen. Gefährlich ist eine solche Anwendung nicht, die Effekte verfliegen spätestens nach einer Stunde. Caroline Luft ist dennoch sehr skeptisch: „Erst müssen wir die Vorgänge viel genauer verstehen.“ Als sie zum Beispiel in ihren Versuchen den linken statt den rechten Schläfenlappen stimulierte, da verschlechterte sich das Ergebnis sogar, die Probanden wurden weniger kreativ.


Woran das liegt, weiss Luft selbst noch nicht. Mit der Vorstellung, dass die rechte Hirnhälfte für Intuition, die linke für analytisches Denken zuständig sein soll, habe das wohl nichts zu tun, dieses Konzept gilt in seiner Vereinfachung als überholt. Im Gegensatz zu kommerziellen Geräten stimulierte Luft ihre Probanden außerdem mit individuell angepassten Frequenzen, und sie setzte dabei nicht Gleichstrom, sondern Wechselstrom ein. „Gleichstrom verstärkt eher den momentanen Zustand, ein langsames Gehirn wird dadurch noch langsamer.“


Künstliche Kreativität wirkt kontraproduktiv


So lange man also kaum versteht, was man tut, sollte man von Selbstversuchen die Finger lassen. Eine künstliche angefachte Kreativität wäre bei manchen Aufgaben auch geradezu kontraproduktiv – wenn es etwa darum geht, schnell und präzise zu reagieren und Erlerntes abzurufen. Ohnehin kann man bereits andere Methoden, um Kreativität zu fördern.


Wichtig ist, sich nicht unter Druck zu setzen und nicht verbissen über ein Problem nachzudenken. Wenn Luft etwa ihren Studenten die Aufgabe stellt, sich eine neue Methode zur Messung von Kreativität auszudenken, dann fällt denen aus lauter Angst vor schlechten Noten nichts ein. „Die Gesellschaft bestraft Fehler, das hemmt die Kreativität“, sagt die Psychologin. Wenn Menschen sich dagegen erst einmal ablenken und entspannen, dann kommen ihnen eher gute Einfälle. Bei psychologischen Tests können das wahlweise Computerspiele oder auch ein Spaziergang an der frischen Luft sein – entscheidend ist vor allem, was einen am besten in eine gelöste, positive Stimmung versetzt.


Sich um Kreativität zu bemühen, das lohnt auch auf jeden Fall, auch wenn man dabei keine bahnbrechende Entdeckung macht. Denn selbst durch das Lösen der Worträtsel, so hat der Wiener Neurowissenschaftler Martin Tik in diesem Jahr gezeigt, wird im Belohnungssystem des Gehirns Dopamin ausgeschüttet – so wie sonst beim Sex, beim Essen oder beim Glücksspiel. Ganz offensichtlich hat die Evolution den Menschen mit einer gewissen Experimentierfreude ausgestattet – mit der Sehnsucht, Wände einzureißen und die alten Pfade zu verlassen.



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